Berliner Stadtwerke

Alles andere als Bonsai, viel viel näher als Hokkaido …

Jens-Martin Rode

Der Strom wird wieder Berliner: Viele Jahre nach dem Verkauf des landeseigenen Energieversorgers Bewag an den Atom- und Kohlekonzern Vattenfall forderten 600.000 Berliner*innen 2013 in einem Volksentscheid ein echtes Ökostadtwerk nach den Kriterien “ökologisch, demokratisch und sozial”. Herausgekommen war damals ein Kompromiss: Die Berliner Stadtwerke. Mit einem rasanten Ausbau von Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden, attraktiven Mieterstrommodellen und einem glaubwürdigen Ökostromangebot ist der zu Beginn als “Bonsai-Stadtwerk” belächelte Newcomer auf dem Berliner Markt längst auf dem Weg, ein wichtiger Player für ein klimaneutrales Berlin zu werden.

Die Berliner Stadtwerke bieten in puncto Stromherkunft eindeutig das glaubwürdigste Angebot: Zwar besteht der an Endkunden verkaufte Strom nach den derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen noch aus entsprechend ausgewiesenen EEG-Strom oder ist mit Herkunftsnachweisen aus europäischen Wasserkraftwerken belegt. Doch wird bereits jetzt durch den rasanten Zubau und Betrieb eigener EE-Anlagen mehr Ökostrom in das Netz eingespeist, als an die mehr als 16.000 Kund*innen verkauft wird. Zudem bereiten sich die Berliner Stadtwerke intensiv auf die Direktvermarktung von regional gewonnenem Ökostrom vor. In Zukunft geht es auch ohne EEG, Zertifikate und Gütesiegel. Denn auf “echten” konzernunabhängigen Ökostrom gibt es sogar einen gesetzlichen Anspruch. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat festgelegt, dass die Berliner Stadtwerke ausschließlich erneuerbare Energien produzieren und anbieten sollen. Damit ist die Produktion und der Vertrieb von Energie aus Atom- und Kohlekraftwerken für den berlineigenen Anbieter per Landesgesetz ausgeschlossen. Diese Verbindlichkeit bietet kein Zertifikat und kein Gütesiegel.

Beim Ökostrom liegen die Berliner Stadtwerke in puncto Preisleistungsverhältnis eindeutig vorn. Die Berliner Stadtwerke GmbH befinden sich als kommunales Elektrizitätsversorgungsunternehmen zu 100 % im Eigentum der Berliner Wasserbetriebe, die wiederum vollständig dem Land Berlin gehören. Damit sind sie als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge zu 100% in kommunalem Eigentum und formal (demokratisch legitimiert) unter Aufsicht und Kontrollmöglichkeit durch das Land Berlin.

Berlin könnte laut Potenzialstudien bis zu 25% seines Stroms durch PV-Anlagen auf Berliner Dächern gewinnen. Die Stadtwerke entwickeln sich zu einem starken Akteur auf diesem Gebiet, sorgen dafür, dass regionale Wertschöpfungskreisläufe entstehen und auch das Know How für die spezifische Berliner Dachlandschaft vor Ort bleibt. In puncto Bürgerbeteiligung bieten die Stadtwerke attraktive finanzielle Anlagemöglichkeiten bei Windprojekten im Berliner Umland. Mieter von kooperierenden Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften können über Mieterstrommodelle auch jetzt schon vor Ort gewonnenen Ökostrom direkt beziehen. Regionaler geht’s nicht.

Mit dem Volksbegehren “Neue Energie für Berlin” hatte sich der Berliner Energietisch zum Ziel gesetzt, Vattenfall das Feld der Stromversorgung streitig zu machen. Aber die Energiewende bedeutet weit mehr als nur CO2 zu sparen und Ökostrom herzustellen. Stromversorgung gehört zur Daseinsvorsorge und geht alle in Berlin lebenden Menschen an. Da Alle auf Strom angewiesen sind, ist Strom auch eine soziale Frage. Viele von den ursprünglichen Forderungen des Berliner Energietisches sind noch nicht in dem Maß in die Tat umgesetzt worden, wie es für eine echte Energiewende notwendig wäre: Aktuelle Informationen zu Geschäftsvorgängen müssen leicht auffindbar und transparent online veröffentlicht werden. Aufsichtsgremien müssten direkt von der Bevölkerung gewählt werden können und NutzerInnen von Energie müssten die Möglichkeit haben, sich mit Initiativen an die Geschäftsführung zu wenden. Um etwa Energiearmut zu vermeiden, müsste ein öffentliches Unternehmen neben Energiesparberatungen auch aktiv Strategien gegen Stromsperren entwickeln. Zudem braucht es eine wirklich unabhängige Ombudsstelle für ein proaktives Beschwerdemanagement im Sinne der Nutzer*innen. Damit das Berliner Stadtwerk weiter in diese Richtung gehen kann, muss es sich aber zunächst betriebswirtschaftlich auf dem Berliner Markt behaupten. Jeder Wechsel zum Stadtwerk als Stromanbieter sorgt für einen weiteren Ausbau an Projekten und Initiativen.